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In Dir liebe ich mich

in dir liebe ich mich


Von einer, die auszog, die Selbstliebe zu lernen

 


Wissen Sie, was eine Dualseele ist? Ich nicht, bis meine Freundin Annabelle mich darüber informiert hat, dass ich der meinen wohl begegnet bin. Dualseelen, so erklärte sie mir, sind die jeweils komplementären Hälften einer einzigen Seele, die sich in zwei Menschen verkörpert hat. Das Drama dieser Dualseelen sei es allerdings, dass es zwar eine große Anziehungskraft zwischen ihnen gäbe, sie in der Regel aber trotzdem nicht zusammen kämen, da Partnerliebe nicht zu ihren vorbestimmten Entwicklungsaufgaben zähle. Stattdessen ginge es bei der Dualseelenliebe um die Entdeckung der Liebe zum eigenen Selbst.

 
WAS WAR PASSIERT?

An einem Tag im Mai war aus dem lauwarmen Kaffeemief einer Seminarpause die Liebe in mein Leben getreten. Sie trug Jeans und Boots und ein dezent kariertes Wollsakko, aus dem unten ein abgerissenes Stück Futtersaum heraus lugte. Ohne den Blick von seinem Blackberry zu heben, durchquerte der fremde Mann einen Raum voll lärmender Menschen und ließ sich schließlich wie eine Seifenblase auf einem Stuhl nieder. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm wenden. Er schien so unausweichlich wie eine Insel inmitten des Ozeans, und alles was ich denken konnte, war:

 

JA!

 

„Ist doch typisch, dass eine Frau wie du sich ausgerechnet in so einen Kerl verrennt“ fasste ein paar Jahre später eine Kollegin die Quintessenz dieser Begegnung zusammen. Damit meinte sie, dass ich als junges Mädchen bestimmte Erfahrungen gemacht hatte, die es mir bis heute erschweren, mich selbst wert zu schätzen, weshalb ich mich bevorzugt »bindungsgestörten Frauenhassern« zum Fraß vorwürfe. Der Kollegin konnte zugute gehalten werden, dass sie dasselbe von sich dachte, was ihr an dieser Stelle womöglich die Nase gerettet hat.

 

Ich hatte indes mal wieder schrecklichen Liebeskummer wegen des »bindungsgestörten Frauenhassers«, der sich gerade anschickte, zu einer waschechten Depression zu werden und meinen Alltag lahm zu legen. Also suchte ich den Rat eines erfahrenen Therapeuten. Der erkannte rasch, dass mein Vater ein emotional kaum erreichbarer, unzuverlässiger und mitunter furchteinflößender Mann gewesen war, um dessen Liebe und Anerkennung ich bis zu seinem Tod gerungen hatte. Da ich darin erfolglos geblieben war, schien ich nun dieses Bemühen auf meinen »unerreichbaren« Geliebten übertragen zu haben. Als Antidot empfahl der Fachmann – Selbstliebe. Ich pflaumte ihn daraufhin an, ob er für 100€ in der Stunde keinen originelleren Rat wisse. „Einen originelleren vielleicht schon“, sagte er, „aber keinen besseren.“ 

 

 Vielleicht würde ich noch heute wütend und erbittert um meinen unerfüllten Liebeswunsch kreisen, wenn meine Freundin Annabelle mit ihrer Dualseelen-Theorie nicht eine Saite in mir zum Klingen gebracht hätte. Konnte es wirklich sein, dass mein ganzes Elend einzig und allein der Entwicklung von Selbstliebe geschuldet war? Etwas Wesentliches ließ sich jedenfalls nicht mehr übersehen: Ich konnte den Rest meines Lebens damit verbringen, auf einen »unerreichbaren« Mann zu warten, oder aber dem Weg folgen, den das Leben für mich mit dem Wort Selbstliebe ausgeschildert hatte. Die Wahl fiel mir überraschend leicht.

 

AUFBRUCH

Zunächst einmal fand ich heraus, was mich an den psychologischen Einschätzungen meiner Kollegin und des Therapeuten so fuchsig gemacht hatte. Während beide meine Kindheitsmuster durchaus zutreffend erkannt hatten, versäumten sie es, mein gegenwärtiges Liebesgefühl ernst zu nehmen. Im Gegenteil. Aus ihrer Sicht spiegelte das, was ich als tiefe Zuneigung empfand, nur die krankhaft entstellte Variante einer enttäuschten Kinderliebe wider, die mit »erwachsener« Liebe nicht das Geringste zu tun haben sollte. Einerseits sprach man mir also die Fähigkeit zu lieben ab, anderseits forderte man mich auf, mich selbst zu lieben. Ein klassisches Dilemma, das regelmäßig dazu führte, dass ich mich nach diesen Gesprächen nur noch wert- und kraftloser fühlte als vorher. Annabelles Dualseelenliebe machte da einen wohltuenden Unterschied. Für sie war die tiefe seelische Verbundenheit zwischen mir und meinem Geliebten Voraussetzung dafür, dass das Programm Selbstliebe überhaupt starten konnte.

 

LEITBILDSPIEGELUNG

Mein nächster Wegbegleiter wurde der Schweizer Psychoanalytiker Peter Schellenbaum mit seiner »Leitbildspiegelung«. Leitbildspiegelung bedeutet, dass wir uns mit allen unseren Instinkten unbewusst Partner wählen, die bestimmte Persönlichkeitsanteile in sich ausgebildet haben, die in uns noch auf Entwicklung warten. Das hat sofort »klick« bei mir gemacht. Wenn es etwas gab, worüber mein Geliebter und ich uns immer einig waren, dann dass wir einander spiegelten. Wir hatten viele vergleichbare Lebenserfahrungen gemacht, daraus aber unterschiedliche Schlüsse gezogen. Kurz gesagt setzte er auf die heilbringende Wirkung von Stacheldraht an der zwischenmenschlichen Grenze, während ich eher die Auffassung vertrat, dass nur Pessimisten Grenzen bräuchten. Ich erinnere mich an etliche hitzige Debatten, die wir über dieses Thema ausgefochten haben – manche vergnügliche Raufereien, manche blutige Wortgefechte – nicht selten gefolgt von Momenten der stillen, liebevollen Verbundenheit oder aber Wochen des eisigen Schweigens. Was wir nicht wussten: Leitbildspiegelung kann auch nach hinten losgehen. Eines Tages fanden wir uns in einer Lage wieder, in der seine Grenzen plötzlich fielen und mich das, was dahinter zum Vorschein kam, derart ängstigte, dass ich die meinen umgehend schloss. Unsere Gegensätze hatten sich urplötzlich einfach umgekehrt und zeigten mir jetzt schonungslos, was ich bislang nicht wahrhaben wollte: Ich hatte dieselben unüberwindlichen Grenzen in mir, die ich ihm immer vorgehalten hatte.

In einer idealen Welt hätten mein Geliebter und ich uns jetzt hingesetzt, über unsere Ängste und Widerstände gesprochen, nach Lösungen geforscht und das Unlösbare der Zeit und der Liebe überlassen. Leider ist uns das nicht gelungen, und so haben sich unsere Wege schließlich getrennt. Während ich mich verkroch, um meine Wunden zu lecken, sind viele gemeinsame Momente immer wieder an meinem inneren Auge vorbei gezogen. Dabei konnte ich plötzlich glasklar sehen, dass etliches von dem, was ich an ihm liebte und was ich an ihm hasste, in mir selbst angelegt war. In ihm hatte ich mich selbst geliebt.

 

IM PURGATORIUM

 

Irgendwann kam Annabelle und zerrte mich aus meiner Eremitage auf ein Meditationskissen. Heiliger Bimbam, wer sich da in meinem Inneren so alles herumtrieb und über die Jahre in Vergessenheit geraten war: Das kleine, wilde Mädchen ebenso, wie die verwundete junge Frau, die vorlaute Leistungstochter, wie die einsame Alte mit dem unerfüllten Liebeswunsch. Sie alle und noch andere lebten in mir, zum Teil einander spinnefeind, aber dennoch eine jede Teil meiner Persönlichkeit, ob mir das nun passen wollte oder nicht. Ich machte mich ans Integrieren. Frodo Beutlin hatte es leichter! Manchmal dachte ich ans Aufgeben, doch dann traf ich »Gott«.

 

LIEBE!

Dass »Gott« in den Menschen wohnt, ist kein Geheimnis. Dass er auch in mir wohnt, war dann aber doch eine kleine Sensation. Er zeigte sich mir eines Tages während der Meditation als ein sicherer Raum in meinem Bewusstsein, der von den Erfahrungen meines Lebens, den schönen wie den weniger schönen, völlig unbeeindruckt geblieben war. Den Zugang zu diesem Raum markierte ein Schild mit der Aufschrift LIEBE! Meine inneren Anteile und ich haben das als Einladung verstanden, uns dort zu versammeln, um uns gegenseitig besser kennen zu lernen, uns zu verzeihen und auszusöhnen. Seither treffen wir uns regelmäßig in aller Herrgottsfrühe bei »Gott«, tauschen uns aus, helfen einander, streiten miteinander, trösten einander, freuen uns miteinander, und je öfter wir das machen, desto weniger Bedeutung hat es, ob ich mich liebe oder einen anderen Menschen, DIE Menschen oder einen Gott.

Ich liebe einfach.

 

Von Herzen,

Du kannst Dir nicht aussuchen, wen Du liebst.

Was Du daraus Machst schon.


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