Zweisamkeit ist keine garantie
WARUM SO VIELE PAARE EINSAM SIND
„Ich weiß nicht, wann wir aufgehört haben miteinander zu reden“, sagt Thomas bitter. Er wirft seiner Frau einen lauernden Blick zu, so als erwarte er eine Reaktion. Doch Ilka schweigt und schaut unbeteiligt aus dem Fenster. Ilka und Thomas, beide in ihren Vierzigern, sitzen vor mir auf der Couch. Die Distanz zwischen den beiden ist nicht nur durch den leeren Platz zwischen ihnen gekennzeichnet. Sie flimmert auch als Spannung, beinahe körperlich spürbar, im Raum. Thomas seufzt in die bedrückende Stille hinein und nimmt seinen Faden wieder auf. „Seit ein paar Jahren leben wir eben nur noch so neben einander her und jetzt...“, Thomas schluckt, „... will sie plötzlich weg“. Ilka verschränkt entschlossen die Arme vor dem Bauch und schaut weiterhin stoisch aus dem Fenster. Und dann rollt eine Träne über ihre Wange.
Einsame Paare vermeiden Intimität
„Einsame Paare“ wie Ilka und Thomas sind in meiner Praxis keine Seltenheit. Ich erkenne sie im Wesentlichen daran, dass sie kaum noch und wenn, dann nur über die praktischen Belange des Alltages miteinander reden. Auch körperlich weichen sich die Partner*innen eher aus. Intimität, die beispielweise durch intensiven Blickkontakt entstehen könnte, vermeiden sie, selbst wenn sie noch „mechanisch“ miteinander schlafen sollten. Wenn es dennoch zu Konflikten kommt, eskalieren diese rasch und können leicht einen beleidigenden Charakter annehmen. Dabei spielt Gewalt nicht selten eine unrühmliche Rolle. So auch bei Ilka und Thomas. Während eines Krachs war Thomas die Zunge und Ilka die Hand ausgerutscht. „Ich glaube, da war uns beiden klar, dass wir eine Grenze überschritten hatten, von wo es kein Zurück mehr gab“ erinnert sich Thomas.
Sie versteht mich nicht mehr
Besonders Ilka zieht sich seither mehr und mehr von Thomas zurück. Wenn er abends von der Arbeit nach Hause kommt, liegt sie oft schon unter irgend einem Vorwand im Bett, um der Begegnung mit ihm auszuweichen. Thomas ist dann mit den beiden Kindern allein. „Während ich das Abendbrot richte, male ich mir aus, was ich ihr alles an den Kopf knallen würde, wenn...“ Zu diesem Wenn kommt es dann aber nie mehr, weil Thomas fürchtet, dass er Ilka ganz verlieren könnte, wenn er seinen Ärger offen ausdrückt. Stattdessen tut er lieber so, als wäre alles in bester Ordnung. Thomas glaubt, dass es ohnehin keinen Sinn mehr machen würde, offen mit Ilka über die Probleme in ihrer Beziehung zu sprechen. „Sie versteht mich nicht mehr.“ Ilka daraufhin: „Vielleicht war unsere ganze Beziehung ja ein Missverständnis“.
Was ist hier schief gelaufen?
Was hier im Schnelldurchlauf nur knapp umrissen ist, entwickelt sich in der Realität vieler Paare über etliche Jahre schleichend und zumindest zu Beginn der Beziehung auch häufig unbemerkt. Da sind die meisten „Einsamen Paare“ nämlich durchaus noch ausgestattet mit einem starken „Wir“-Gefühl und hohen Erwartungen an die gemeinsame Zukunft dem Sonnenuntergang entgegen geritten. Doch dann verpasst der Alltag mit seinen wiederkehrenden Routinen, den Kindern, den Karrieren, den Anschaffungen und Anhäufungen dem romantischen Liebesideal rasch die ersten Beulen. Dazu gesellen sich im Lauf der Zeit unvermutet noch ein paar geplatzte Träume, Enttäuschungen, Niederlagen, Verluste und stellen die Belastbarkeit der Beziehung immer wieder auf harte Bewährungsproben. Nicht, dass die das nicht aushalten könnte. Was indes unter der zunehmend einsickernden Wirklichkeit tatsächlich in die Knie geht, sind unsere Idealvorstellungen davon, wie und was der Partner oder die Partnerin für uns zu sein habe. Der zärtliche, verständnisvolle Drachentöter entpuppt sich im Alltag dann schon mal als wenig haushaltstauglicher Fußballfan. Die selbstbewusste Amazone sucht unbegreiflicherweise plötzlich eine starke Schulter zum Anlehnen. Der süße Fratz will lieber auf Weltreise gehen, als diese mit eigenem Nachwuchs zu bevölkern. Für viele ist das so, als würde auf halbem Weg in den Sonnenuntergang plötzlich das Deckenlicht angeschaltet und der Traum vom gemeinsamen Glück als bloße Kulisse enttarnt.
Am Scheideweg
Wer sich an diesem Punkt der Beziehung nicht schon wieder aus derselben verabschieden will, um weiter nach einer „Idealbesetzung“ zu suchen, kann jetzt im Wesentlichen zwischen zwei Wegen wählen: Wer rechts abbiegt, könnte damit anfangen, an den „Fehlern“ des Partners oder der Partnerin herumzudoktern, um sie dem verlorenen Ideal noch möglichst anzugleichen. Da die jeweiligen Partner*innen das ebenfalls vorhaben, wird es in der Folge wahrscheinlich immer wieder zu Konflikten kommen, die sich nicht ohne Weiteres lösen lassen. Es entsteht eine Pattsituation, in der die Partner*innen sich erfolglos verausgaben, bis sie sich schließlich erschöpft und resigniert voneinander zurückziehen, sich einkapseln und die intime Kommunikation einstellen. Aus dem Liebespaar wird dann ein „Einsames Paar“, das vor sich hin lebt oder sich trennt oder auch auf meiner Couch landet.
Die Linksabbieger gelangen nicht selten zunächst auf unwegsames Gelände, was durchaus als beängstigend empfunden werden kann. Dieser Weg setzt voraus, dass wir uns bereit erklären, die „Unvollkommenheit“ des Partners nicht nur als Bedrohung unserer Bedürfnisse oder Wertvorstellungen zu sehen, sondern auch als Chance, eine andere Sicht der Dinge kennen zu lernen. Klar, wenn der Liebste sich konsequent davor drückt, abends noch mit dem Hund raus zu gehen, dann ist das eine Sicht der Dinge, die wir vielleicht nicht unbedingt brauchen. Anderseits könnten wir unseren Ärger über die faule Socke aber auch dazu nutzen, uns zu fragen, warum wir unser eigenes Ruhebedürfnis nicht entschiedener verteidigen, warum wir immer wieder nachgeben, woher das Pflichtgefühl in uns stammt, das größer zu sein scheint, als unser Selbstschutz. Vielleicht fällt uns dann ganz nebenbei auch noch ein, dass wir es eigentlich waren, die unbedingt einen Hund wollten und damit die Verantwortung für den kleinen Scheißer übernommen haben.
Selbsterfahrung statt Partner-Tuning
Wenn wir unseren Wunsch Recht zu behalten einmal aufgeben können und uns der Andersartigkeit des Partners oder der Partnerin öffnen, dann gehen wir zwar das Risiko ein, eine Niederlage einstecken zu müssen. Gleichzeitig bietet sich uns aber auch die Chance, nicht nur unser Gegenüber in seiner alltäglichen Widersprüchlichkeit besser kennen zu lernen (die ich, unter uns gesagt, um einiges spannender finde, als es jede Drachentöter-Eindimensionalität), sondern auch und vor allem uns selbst.
Ilka und Thomas haben das übrigens so gemacht. Sie verabreden sich seit geraumer Zeit zu sogenannten ZWIEGESPRÄCHEN, während der sie sich in Anwesenheit des Anderen selbst erforschen. So hat Thomas erfahren, dass hinter seiner Wut auf Ilka eine tiefe Angst steckt sie zu verlieren, wie er einst als Junge seine Mutter verloren hat. Und Ilka lernt heute jeden Tag auf’s Neue, dass sie nicht alles und jeden kontrollieren kann. Im Zusammensein mit dem Partner lernt jeder für sich, die eigene Persönlichkeit weiter zu entwickeln und nicht die des Anderen.
Von Herzen,
Dieser Artikel ist am 3.12.2015 in der Ausgabe 04/15 des Magazins AUSZEIT erschienen.